What I've Learned in Wien: Meine Erfahrungen
Dreisternekoch Juan Amador zog der Liebe wegen nach Wien. Was er an der österreichischen Metropole lieben gelernt hat – von der Wiener Ruppigkeit im Umgang über die Selbstverständlichkeit von Pracht bis zur Wirtshauskultur –, verrät er hier
Die Essenz
Für Wien gilt: You get what you see. Die Stadt ist sehr ehrlich. Verschlossen und offen zugleich. Das scheint nur auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein: Wien wirkt hart, aber wenn man die Stadt einmal geknackt, sich hier reingefühlt und – klar, das muss sein – angepasst hat, dann lebt es sich großartig. Hier ist Raum und Platz für alles und jeden. Wien ist ein Schmelztiegel von verschiedenen Kulturen, deren Kontraste sich überall widerspiegeln: in der Kunst, in der Musik und in der Gastronomie.
Die Menschen
Bevor ich 2015 nach Wien gezogen bin, führte ich sechs Jahre lang eine Fernbeziehung mit meiner Partnerin, einer Wienerin, und verbrachte deshalb schon zuvor regelmäßig viel Zeit in der Stadt. Der Vorteil: Ich konnte mir eine soziale Infrastruktur aufbauen, die Menschen konnten sich auf mich einstellen und ich mich auf sie. Wenn man mit den Leuten hier klarkommt, dann kann man sich auf sie vollkommen verlassen. Natürlich sind die Wiener:innen Grantler:innen, aber nirgendwo sonst ist Unfreundlichkeit so nett und charmant wie in Wien – die kommt nicht von oben herab, sondern ist, denke ich, eine Art Schutzmauer. Das darf sich auch gar nicht ändern. Man stelle sich vor, die Kellner:innen im Kaffeehaus kämen plötzlich mit ungewohnter Überschwänglichkeit an den Tisch – Yes, Madam! Awesome, Sir! –, da würde man sich doch fragen: Wo bin ich hier?
Die Pracht
Die Wiener Oper, die Prunkbauten an der Ringstraße, die historischen Luxushotels – Wien ist eine prächtige Stadt. Diese Pracht wirkt aber so selbstverständlich. Das gilt auch für den Stephansdom. Der steht einfach so da und scheint sich weniger wichtig zu nehmen als die Wahrzeichen anderer Großstädte.
Der Genuss
Gutes Essen wird in Wien zelebriert – selbst die „Eitrige“, wie man Käsekrainer (eine mit Käse gefüllte Bratwurst) hier nennt, am Würstelstand. Mir imponiert die Innereienküche und die Wiener Wirtshauskultur. Ehrliche Hausmannskost, bei der sauber gekocht wird und keine Convenience-Produkte oder sonstige Scharlatanerie zum Einsatz kommen, ist ja in anderen Ländern beinahe ausgestorben. Hier feiern die Wirt:innen große Erfolge damit. Wien ist auch die einzige Metropole, in der es nennenswerten Weinbau gibt. Nur 50 bis 100 Meter Luftlinie von meiner Wohnung entfernt fangen schon die Weinberge an. Ganz typisch: der Gemischte Satz. Das ist nicht einfach eine Cuvée, sondern hier wachsen mindestens drei Rebsorten zusammen in einer Parzelle, gehen eine Symbiose ein. Die Trauben werden zur selben Zeit gelesen und gemeinsam vinifiziert, woraus etwas ganz Besonderes entsteht, das es sonst nirgendwo gibt. Insofern reflektiert der Wiener Gemischte Satz die Stadt.



Die Inspiration
Meine kulinarische Herkunft liegt zwar eher in Frankreich und Spanien, auch hinsichtlich der Produkte, aber es kommt mittlerweile vor, dass der bretonische Steinbutt in einem Gulaschsaft landet oder Lammbeuschel, ein österreichisches Innereienragout, auf meiner Karte steht. Es müssen nicht zwingend die Zutaten sein, die eine Gegend widerspiegeln, das gelingt auch durch den Geschmack. Zum Beispiel bei den österreichischen Mehlspeisen auf unserer Karte wie Kaiserschmarrn und Apfelstrudel. Wir dekonstruieren diese Klassiker, die dann ganz anders aussehen, aber total nach dem Vorbild schmecken.
Für Freund:innen
Mein Lieblingsgasthaus ist aktuell das Reznicek im 9. Bezirk, das von Jungs betrieben wird, die ursprünglich aus der Fine-Dining-Welt kommen. Jetzt bieten sie großartige Weine und ehrliches Essen – und vor allem das beste Cordon bleu der Welt. Ich gehe auch gern ins Mraz & Sohn. Lukas Mraz ist ein ehemaliger Mitarbeiter von mir und hat das Restaurant in dritter Generation übernommen. Er kocht aus dem Bauch heraus; für mich ist es das demokratischste Zweisternerestaurant überhaupt.
Meine Lieblingsorte im Sommer: die Buschenschanken (saisonale Weinlokale, in denen Winzer ihren eigenen Wein ausschenken und kleine Gerichte anbieten) wie unser Hans & Fritz am Steinberg und Wieninger am Nussberg. Ich würde empfehlen, sich nachmittags ein paar Stunden vor das Traditionsrestaurant Zum Schwarzen Kameel zu setzen und sich einfach das Treiben anzuschauen und den Menschen zuzuhören. Würde ich selbst gern, aber da hier auch viele Gäste und Bekannte verkehren, werde ich ständig angesprochen. Vielleicht versuche ich es heuer mal – verkleidet, wie man es aus Louis-de-Funès-Komödien kennt.
Einer der schönsten Stadtteile ist das Servitenviertel im 9. Bezirk. Am besten einfach durchspazieren und Klein-Paris, wie die Einheimischen das Viertel nennen, auf sich wirken lassen. Die Wiener Museen sind immer einen Besuch wert: Ich liebe die Albertina und deren Ableger, die Albertina Klosterneuburg, im Wiener Umland. Am bewegendsten finde ich allerdings das Kunsthistorische Museum mit seinen prächtigen Räumen, in denen diese gigantischen Großformate der alten Meister hängen. Und daneben moderne Kunst. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Baselitz-Ausstellung. Zwischen dessen Werk und den Renaissancegemälden liegen 500 Jahre – und dennoch funktioniert es wunderbar nebeneinander.
Zur Person
In Deutschland erkochte sich Küchenchef Juan Amador drei Sterne, nach Wien zog er 2015 wegen der Liebe. In der österreichischen Hauptstadt gelang ihm das Kunststück, mit dem Amador Restaurant erneut die höchsten Weihen des Guide Michelin zu erhalten – als erstes Restaurant in Österreich überhaupt.
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