Ein Mann mit blonder Perücke und in einem gemusterten braunen Hemd steht selbstbewusst vor einem schlichten Hintergrund

What I've Learned in Tokio: Meine Erfahrungen

Der Schotte Nicholas Currie macht unter dem Namen Momus schrägen Avantgarde-Pop. Seit den 1990er-Jahren zieht es ihn privat und beruflich immer wieder nach Japan, er lebte lange in Osaka und Tokio. Heute schätzt Currie besonders den Retro-Charme der Stadt und die Kultiviertheit der Tokioter:innen

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5 Min. Lesezeit
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Die Inspiration

Als ich in den 1990er-Jahren zum ersten Mal nach Tokio kam, fühlte es sich wie die Zukunft an. Als ich in den 2000er-Jahren begann, dort zu leben, kam es mir wie die Gegenwart vor. Heute empfängt es mich wie ein alter Freund. Das Beste, was Tokio heute zu bieten hat, ist eher retro: die alten Viertel, die Vororte, die tollen Vintage-Läden. Dass der Wechselkurs derzeit alles für Touristen so preiswert macht, verstärkt das nostalgische Gefühl noch.

„Das Beste, was Tokio heute zu bieten hat, ist eher retro: die alten Viertel, die Vororte, die tollen Vintage-Läden.“
Nicholas Currie

Die Menschen

Die Tokioter:innen sind freundlich, zuvorkommend, einladend und kultiviert. Die Dinge laufen so reibungslos, dass man leicht vergisst, dass man sich mitten im größten Ballungsraum der Welt befindet, in dem 37 Millionen Menschen auf engstem Raum zusammenleben. Sie werden immer einen freundlichen Menschen finden, der Sie auf den richtigen Weg führt, wenn Sie sich verlaufen haben – oder Ihnen einen durchsichtigen Regenschirm leiht, wenn es regnet.

Der Verkehr

In Tokio ist es viermal wahrscheinlicher, dass man sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß oder mit dem Fahrrad fortbewegt als mit dem eigenen Auto. Das macht die Straßen der Stadt zu den am wenigsten verstopften und angenehmsten, die ich kenne. Die Stadt ist riesig, aber relativ flach, und wenn man sich entschließt, sie mit dem Fahrrad zu erkunden, wird man immer wieder auf leere Seitenstraßen stoßen, die ihren eigenen Charme haben und sich vielleicht an einem unsichtbaren Fluss entlangschlängeln. Selbst die scheinbar langweiligsten Gegenden bergen verborgene Schätze: einen Park mit einer Ansammlung strohgedeckter Bauernhäuser, einen Tempel auf einem Hügel, eine Einkaufsstraße, die von einer Eisenbahnlinie gekreuzt wird.

Die Vororte

Natürlich bin auch ich immer daran interessiert, die neuesten High-End-Einkaufszentren in Tokios zahlreichen, miteinander konkurrierenden, verstreuten Zentren (Aoyama, Shibuya, Ginza oder Roppongi) zu besuchen. Aber je mehr Zeit ich in der Stadt verbringe, desto mehr zieht es mich in die weniger bekannten Vorstädte. In Jujo zum Beispiel betreibt eine kleine bangladeschische Gemeinschaft mehrere Läden im Shotengai und es gibt ein lokales Kabuki-Theater. Im südlichen Teil von Setagaya gibt es neue Buch- und Plattenläden, die an die berauschenden Zeiten erinnern, als Harajuku noch ein echtes Zentrum der Gegenkultur war.

Das Handwerk

Ohne das alte Klischee der Geisha mit dem Handy heraufzubeschwören, kann man sagen, dass das Handwerk in Japan eine Mischung aus modern und uralt ist. Tradition findet man etwa in den Yakimono-Töpferwaren, die im Japan Folk Crafts Museum ausgestellt sind, während sich das Moderne in Kengo Kumas Asakusa Culture Tourist Information Center zeigt, einem mehrstöckigen Gebäude aus Holzsäulen und mehrfach abgeschrägten Dachlinien.

Hier zeigt sich der tiefe und dauerhafte Respekt der Japaner vor den (Kunst-)Handwerkern, diesen „lebenden nationalen Schätzen“, die ein immaterielles kulturelles Erbe durch die Schaffung konkreter Dinge weitergeben.

Die Religion

Wer nach Japan reist, sollte sich darüber im Klaren sein, dass der Shintoismus, die dortige Volksreligion, mit seinen Reinheits-, Fruchtbarkeits- und Jahreszeitenritualen eine Form des Animismus ist. Alles, jeder Gegenstand, gilt als beseelt und verdient tiefen Respekt. Das Göttliche wird in den Alltag hineingetragen, und selbst alltägliche Verrichtungen sind von einem Sinn für das Heilige durchdrungen.

Ein Mensch fegt mit einem Besen einen bereits sauberen Boden, oder ein Zug wird bei der Einfahrt in einen Bahnhof von einem klangvollen, eigens komponierten Musikstück begleitet. Auf einer Ebene sind diese Handlungen pragmatisch und banal. Aber sie sind auch Gesten der Hingabe an unsichtbare Götter und an die großzügigen Zyklen der Natur selbst. Mein Wort dafür ist „Superlegitimität“. Es ist unmöglich, Zeit in einer japanischen Stadt zu verbringen, ohne diesen tiefen Respekt zu spüren, der sich oft auf überraschende Weise manifestiert. Und es ist unmöglich, dieses zauberhafte Inselreich zu verlassen, ohne ein Stück „Superlegitimität“ mit nach Hause zu nehmen.

Ein von blühenden Kirschbäumen gesäumter Fluss
Blütenmeer: Ein Spaziergang am Ufer des Meguro-Flusses lohnt sich besonders während der Kirschblüte (© Getty Images)
Menschen entspannen im Ueno-Park in Tokio, mit Hochhäusern im Hintergrund
Chill-out-Zone: Ein Bummel durch den Ueno-Park gehört für Momus zum Tokio-Besuch dazu (© Getty Images; Header-Bild © Antoine Doyen)
Eine ruhige Straße in Tokio, geschmückt mit farbenfrohen Girlanden
Wie im Bilderbuch: Jenseits der großen Hauptstraßen warten verträumte Gassen auf ihre Entdeckung (© Getty Images)

Für Freund:innen

Ich würde sie im neuen Blue Bottle Café in Daikanyama treffen und dann mit ihnen zum – je nach Jahreszeit – mit der Kirschblüte geschmückten oder von bunten Glühbirnen erleuchteten Ufer des Meguro-Flusses hinuntergehen, wo die schicken Boutiquen mich an Utrecht oder Amsterdam erinnern. Alternativ treffen wir uns im Ueno-Park und starten von dort einen Spaziergang durchs Viertel Yanaka. Bei Kabaya Coffee genießen wir auf Tatami-Matten liegend ein Eis.  Anschließend schauen wir bei Scai The Bathhouse, einer Kunstgalerie in einem ehemaligen Badehaus, vorbei, und gehen in der retro-charmanten Einkaufsgegen Yanaka Ginza Kimonos kaufen.

Zur Person:

Immer wieder Japan: In den 1990er-Jahren war der schottische Musiker und Produzent Nicholas Currie alias Momus häufig dort, arbeitete mit bekannten Popmusikern wie Kahimi Karie und Cornelius zusammen. Anfang der 2000er-Jahre lebte er für zwei Jahre in Tokio, in den 2010er-Jahren für acht Jahre in Osaka. Heute pendelt er zwischen Paris und Berlin, kehrt aber regelmäßig nach Tokio zurück. Momus hat rund 40 Platten veröffentlicht, sein neues Album heißt „Ballyhoo“.

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